Teufelskreis




 Wir Freiwillige haben uns in dem Theater des Kulturzentrums versammelt und erwarten mit Spannung Rogerio, den Bruder unserer Koordinatorin. Er arbeitet mittlerweile auch bei Monte Azul. Davor hat er Jugendliche in einem Gefängnis begleitet, welches zumindest in Sao Paulo nicht unbekannt sein soll.
Er hat einen Beamer angeschaltet und zeigt uns zwei Bilder, die wir vergleichen sollen. Das wird sich in dieser Form durch den ganzen Vortrag ziehen. "Hier seht ihr Kinder. Das sind Kinder richtig?". Ich nicke instinktiv mit dem Kopf. "Diese Kinder scheinen Spaß zu haben, sie machen etwas Gutes oder?". Wir stimmen zu. Auf der Leinwand sieht man eine Gruppe Jugendlicher in einem Kreisspiel. "Und hier?" Er wechselt das Bild. "Auch Kinder, richtig?". Das Bild ist schockierend. Es zeigt eine Gruppe von Jugendlichen auf demselben Platz, nur dass es jetzt nachts ist, sie Banner in die Kamera zeigen und mit ihren Fakeln den Platz erleuchten. Er erzählt von einem Aufstand in dem Jugendgefängnis. Dabei ist ein Wärter umgekommen, als ihm ein Besenstiel über den Mund in den Bauch hineingerammt wurde. Ohne Zweifel war das ganz und gar keine alltägliche Situation, sie war dennoch erschreckend real.

"Jeder Einzelne bringt seine ganz persönliche Geschichte hierher". Das Gesetz definiert in Brasilien einen 12-Jährigen als "jugendlich". Ab dem Alter gilt man damit als strafmündig und kann somit bereits eine Strafe im Jugendgefängnis absitzen müssen. Doch wie soll das gut gehen, wenn sich auf einmal einer der Ältesten mit 21 Jahren ein Zimmer mit einem schmächtigen 12-Jährigen teilt. Ein Zahlendreher? Leider nein. Der Beamer lichtet ein Bild ab, auf dem 4 Zimmerbewohner zu sehen sind. Dabei geht der am Rand Stehende seinem Nebenmann maximal bis zu den Schultern. Uns wird erzählt, wie einer der Jungen, immer die Kleineren beschützt hat. Zweifellos einer der "Guten". Dahinter steht die Geschichte einer Mutter, die sich aus finanzieller Not heraus prostituierte und ihre Freier ins Haus einlud. Der Älteste sorgt sich schließlich um sich und seine jüngeren Brüder und verbirgt sich in solchen Momenten über Jahre hinweg in einem verschlossenen Nebenzimmer.
Bei dem Essen gibt es aus Sicherheitsgründen nur Plastikbesteck. Zu gefährlich sei das sonst und einige würden jeden Moment ausnutzen, um Waffen in ihre Zimmer zu schmuggeln. Wenn Verwandte kommen, müssen diese sich komplett ihrer Kleidung entledigen und werden am ganzen Körper abgetastet. Die Leute kämen dort auf die unglaublichsten Ideen.

Doch die wirklich schweren Fälle seien nur die Ausnahme. Etwa 90 Prozent der Jugendlichen seien wegen leichterer Delikte in der sogenannten "Fundacao Casa". Drogenhandel oder Diebstahl überwiegend. Zum Großteil sind es Handlungen aus der Not heraus, instabile oder nicht existierende Familienverhältnisse begünstigen die Fälle. Viele Jugendlichen hätten kein Gefühl für die Konsequenzen ihres Handelns. Die Fundacao versucht zu tun, was sie kann. An dem Ort haben die Jugendlichen einen strukturierten Tag. Sie gehen zur Schule und einem nehmen an den vielfältigen Kursangeboten wie Informatik oder Handwerk teil.
Die Resozialisierung mag dort vielleicht noch halbwegs möglich sein, doch nach der Fundacao kehren sie wieder an die Orte zurück, von denen sie gekommen sind. Und dort ändern sich die Dinge nicht. Das Umfeld hat einen erheblichen Einfluss. Oft ist der Kreislauf nicht zu stoppen. Eine professionelle Begleitung existiert nicht, die Kinder sind sich selber überlassen. An dieser Stelle versagt das System und Mitarbeiter wie Rodrigo bleiben machtlos. "Und ja, es sind für mich eben keine Jugendliche, auch wenn sie wie Erwachsene behandelt werden", so Rodrigo. "Das ist für mich ein Kind, wenn ich es anschreie und es anfängt zu weinen".

Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir in kommender Zeit, die Einrichtung für einen Tag besuchen können. Ein Vergleich zwischen dem Vortrag und der Realität, die uns dort erwartet, ist sicher spannend.


Video über die Organisation








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